Modell und Wirklichkeit

Wie kommt man von gemessenen Daten (Wirklichkeit) zu einer erklärenden Theorie (physikalisches Modell)?
In den Naturwissenschaften ist der erste Schritt oft "exploratives Experimentieren", d.h. Messungen werden ohne viele Hintergedanken durchgeführt. Dann werden die Daten - falls möglich - in geeigneter Weise dargestellt. In unserem Fall werden es Diagramme sein, in denen zwei Grössen gegen einander aufgetragen sind, z.B. y(t)-Werte für den freien Fall aus der Ruhelage. Dann wird eine geeignete Kurve durch die Messpunkte gelegt und es werden die Parameter dieser Kurve bestimmt; das könnte z.B. eine Parabel y = a + b*t + c*t2 sein, falls die Werte quadratisch von einander abhängen. Danach werden die Beobachtungen mit bereits vorhandenen Theorien verknüpft. Dies gestattet es, die Parameter der angepassten Kurven zu interpretieren, z.B. als Fallbeschleunigung in y = 0.5*g*t2. Das Vertrauen in ein Modell wird sehr gestärkt, wenn man mit Hilfe der Theorie die Daten als Geradenfunktion oder Proportionalität darstellen kannn, z.B. y ∝ t2 mit Proportionalitätsfaktor g/2.

Sie werden, wenn Sie diesem Tutorial folgen, einige Diagramme selbst erstellen, einige Kurvenanpassungen durchführen und die Parameter der Kurven nach einer Theorie interpretieren. Einige Daten werden Ihnen in Form von excel-files zur Verfügung gestellt, andere werden Sie sich selbst in kleinen Experimenten beschaffen. Sie sollten bereits ein wenig mit dem Tabellenkalkulationsprogramm Excel bekannt sein, insbesondere wie man Funktionen eingibt, Diagramme zeichnen lässt und Trendlinien einfügt, siehe das Excel-File Muster.xls. Die meisten Befehle findet man via die Hilfe-Funktion von Excel. Am Schluss müssen Sie eine Exceldatei mit der kompletten Auswertung Ihres Experiments und Ihren Reflexionen abgeben. Die Auswertung enthält alle Elemente, die Sie in den Beispielen angetroffen haben (Diagramme, Trendlinien, Genauigkeitsbetrachtungen, Theoriebildung, etc.)

1. Aufgabe: Eröffnen Sie ein Verzeichnis (einen neuen Ordner) auf dem Schulnetz oder Ihrem Datenträger (memory-stick) und benennen Sie ihn mit Ihrem Namen, z.B. Hansli_Modellbildung. Der Ordner soll alle Ihre Arbeiten dieses Kurses aufnehmen und dient auch der Kontrolle. Denken Sie daran, ab und zu eine Sicherungskopie Ihrer eigenen Daten zu speichern.

Darstellungsarten

Meistens werden gepaarte Messwerte als Punkte in ein kartesisches Koordinatensystem eingetragen. Man hat die Wahl zwischen linearer Skalierung der Achsen, halblogarithmischer Darstellung und doppel-logarithmischer Auftragung. Laden Sie das File semilog.xls herunter und betrachten Sie den Effekt der Skaleneinteilung auf eine Geradenfunktion.

2. Aufgabe: Schauen Sie im File semilog.xls die folgenden Tabellenblätter an und untersuchen Sie, wie die Proportionalität, Exponentialfunktion und Potenzfunktion in linearer, halblogarithmischer und doppelt-logarithmischer Darstellung aussehen. Welche Funktion erscheint in welcher Skalierungsart als Gerade? Verändern Sie die Funktionen und untersuchen Sie, welche Auswirkungen das hat.

3. Aufgabe: Laden Sie das File Helmholtzspule.xls herunter und stellen Sie das Magnetfeld als Funktion des Stromes graphisch dar (Tabelle auswählen und den Befehl "Diagramm einfügen" wählen). Speichern Sie das File mit dem Diagramm für weiterführende Untersuchungen.

4. Aufgabe: Laden Sie das File KondensatorEntladung.xls herunter und stellen Sie die Spannung U als Funktion der Zeit t graphisch dar. Speichern Sie das File mit dem Diagramm für weiterführende Untersuchungen. Gibt es eine Skalierung, in der die Messwerte einigermassen auf einer Geraden liegen? Auf welche Funktion schliessen Sie? Was könnte der Grund für allfällige Abweichungen sein?

5. Aufgabe: Laden Sie das File Blechlineal.xls herunter und stellen Sie die Frequenz als Funktion der freien Länge graphisch dar. Speichern Sie das File mit dem Diagramm für weiterführende Untersuchungen. Gibt es eine Skalierung, in der die Messwerte einigermassen auf einer Geraden liegen? Auf welche Funktion schliessen Sie?


Kurvenanpassung

Bei einer Kurvenanpassung nach der Methode der kleinsten Quadrate (Synonyme: Regression, Ausgleichsrechnung, Fit) werden die freien Parameter einer Funktion, z.B. a und b in y=ax+b, so bestimmt, dass die Funktion möglichst gut zu den Daten passt. Die Berechnung dieser Parameter überlässt man dem Computer (Excel: "Trendlinie einfügen"). Es ist Pflicht, zu schreiben, welcher Grösse die unabhängige Variable (x) und welcher die abhängige Variable (y) entspricht, denn x und y sind innermathematische Symbole, während in physikalisch/technischen Kontexten andere Variablennamen gebraucht werden. Man muss also in der Legende der Abbildung z.B. sagen "x entspricht dem Strom in Ampere, y entspricht der Feldstärke in Millitesla".

6. Aufgabe: Führen Sie mit den Daten in Helmholtzspule.xls eine geeignete Kurvenanpassung durch. Verwenden Sie dazu Ihr gespeichertes File. Lassen Sie die Formel im Diagramm anzeigen. Formatieren Sie die Formel so, dass genügend Stellen angezeigt werden.

7. Aufgabe: Führen Sie mit den Daten in KondensatorEntladung.xls eine geeignete Regression durch.

8. Aufgabe: Führen Sie mit den Daten in Blechlineal.xls einen geeigneten Fit durch.

Die Genauigkeitsanalyse umfasst hier zwei Aspekte: Wie genau sind die berechneten Parameter der Regression und wie gut passt die Kurve zu den Daten.

Um die Genauigkeit der Parameter abzuschätzen, kann man einzelne Messpunkte löschen und schauen, was das für Auswirkungen auf die Regressionsparameter hat. Etwas vornehmer kann man die Daten im Rahmen der Fehlerschranken variieren und schauen, was mit den Regressionsparametern passiert. Wie das etwa geht, können Sie in Genauigkeit.xls sehen. Sie sollten nach der Genauigkeitsanalyse sagen können, wie viele Stellen der Regressionsparameter signifikant sind.

Um die Passgenauigkeit der Kurve zu beurteilen, berechnet man die Residuen und lässt sie graphisch darstellen. Residuen (Einzahl Residuum, lateinisch für Rest) sind die Unterschiede zwischen Messwerten und Ausgleichsfunktion. Wie man Residuen berechnet und darstellt, können Sie im File magn_Kraft.xls anschauen. Die Residuen sollen im Rahmen der Fehlerschranken mit Null übereinstimmen. In Excel heissen die Fehlerbalken `Fehlerindikatoren'. Wie man die Residuen interpretiert, können Sie in Residuen.xls sehen.

9. Aufgabe: Bestimmen Sie für einen der Datensätze die Genauigkeit der Kurvenparameter und lassen Sie für einen anderen Datensatz die Residuen zeichnen.


Modellbildung

Eine Kurve an die Daten zu passen ("fitten") ist reine Mathematik. Damit daraus etwas Sinnvolles entsteht, muss die Kurve physikalisch interpretiert werden, d.h. man sollte die Regressionsfunktion mit einer bekannten Theorie verknüpfen und den Parametern eine Bedeutung zuweisen. Oftmals stellt sich auch heraus, dass man besser eine andere Funktion angepasst hätte, weil sich diese besser in das Theoriesystem einfügt. Wenn immer möglich stellt man die Messungen so dar, dass sie auf einer Gerade liegen. Liefert die Kurvenanpassung z.B. y ∝ x^2.03 als beste Funktion und findet man in der Literatur einen quadratischen Zusammenhang, so ist es ratsam, eine Regression von y = a·x^2 durchzuführen, resp. y als Funktion von x^2 darzustellen und eine Nullpunktsgerade anzupassen. Es wirkt sehr überzeugend, wenn die Messwerte schön auf einer Geraden liegen.

Beispiel: Wird der Dampfdruck über flüssigem Wasser als Funktion der Celsius-Temperatur dargestellt, siehe Dampfdruck.xls, so scheint der Druck exponentiell mit der Temperatur zuzunehmen. Wird aber die Druck-Achse logarithmisch skaliert, so erscheint keine Gerade. Sucht man ein wenig in der Literatur (Thermodynamik oder physikalische Chemie), so findet man oft den Faktor exp(-W/kT). Darin ist exp() die Exponentialfunktion, W die Verdampfungswärme pro Molekül, k die Boltzmannkonstante und T die absolute Temperatur. Der so genannte Boltzmann-Faktor exp(-W/kT) kontrolliert die Reaktionsgeschwindigkeit, und Verdampfung ist ja auch eine Art Reaktion. Wird der Logarithmus des Dampfdrucks als Funktion der inversen, absoluten Temperatur (1/T) dargestellt, so liegen die Werte tatsächlich auf einer Geraden, siehe zweite Graphik im genannten File. Der Dampfdruck gehorcht also in guter Näherung der Funktion p = p0exp(-W/kT). Der Ordinatenabschnitt der Regressionsgeraden ist ln(p0), die Steigung -W/k.

10. Aufgabe: Suchen Sie für die Messung Helmholtzspule.xls die passende Formel in der Formelsammlung. Welche Bedeutung haben die Parameter in Ihrer Regressionsfunktion? Welche Einheiten haben die Regressionsparameter? Welche Zahlenwerte müssten die Parameter nach Theorie haben? Hätte man die Regression auch anders machen können?

11. Aufgabe: Welche Einheiten haben die Regressionsparameter in KondensatorEntladung.xls? Nach der Theorie erwartet man eine Exponentialfunktion.

12. Aufgabe: Welche Einheiten haben die Regressionsparameter in Blechlineal.xls? Nach der Theorie erwartet man, dass die Frequenz umgekehrt proportional zum Quadrat der Länge abnimmt. Passen Sie Ihre Auswertung an, indem Sie die Schwingungsdauer als Funktion des Quadrats der Länge darstellen und eine geeignete Regression durchführen.



Eigene Untersuchungen

Führen Sie selbst ein Experiment durch und halten Sie die Messwerte mit den Fehlerschranken auf einem Protokollblatt fest. Werten Sie den Versuch auf einem Tabellenblatt in Excel aus. Stellen Sie die Daten grafisch dar und berechnen Sie eine geeignete Regressionsfunktion. Suchen Sie nach einer Theorie. Versuchen Sie, die Messdaten neu so darzustellen, dass sie auf einer Geraden liegen. Untersuchen Sie mit Residuen, wie genau die Regressionsfunktion zu den Daten passt und wie genau die Regressionsparameter sind. Nennen Sie Einheit und Bedeutung der Regressionsfunktion/-parameter im Rahmen der Theorie. Ein Beispiel für diesen Ablauf sehen Sie in PapierKreisMasse.xls.

Vorschläge:
Abkuehlung.pdf
Blattfederkonstante.pdf
Blattfederkraft.pdf
Darcy.pdf
konischerBecher.pdf
Kugellager.pdf
Meteoritenkrater.pdf
Papierchromatografie.pdf
Pendelkette.pdf
Phosphoreszenz.pdf
Xylophon.pdf
Sie dürfen auch einen eigenen, geeigneten Versuch durchführen.

Reflexion

Beschreiben Sie in eigenen Worten, was Sie in diesem Kurs gelernt haben. Wir verlangen ausformulierte Sätze, nicht nur Stichworte. Vermerken Sie auch, was Sie vermisst haben, wo Sie Schwierigkeiten hatten oder was Sie anders machen würden. Wir erwarten etwa eine halbe Seite Text. Speichern Sie den Text auf dem 2. Tabellenblatt Ihrer Auswertung. Vergessen Sie Namen und Datum nicht.

Abschluss

Benennen Sie Ihre Exceldatei mit Auswertung und Reflexion "Name1_Name2.xls" und senden Sie diese an die Kursleiter (oder kommen Sie mit dem Datenträger vorbei). Sie sind erst dann fertig, wenn Ihre Arbeit kontrolliert und für gut befunden worden ist. Dazu müssen Sie persönlich bei den Kursleitern vorbeigehen.


7. November 2009 / Martin Lieberherr
Ergänzungen: 8. 11., 9. 11., 16. 11., 23. 11., 2. 12., 10. 12., 11. 12. 2009, 3. 1., 3. 2., 4. 2., 5. 2. 2010
1. Erprobung: 8.-11. Februar 2010
Ergänzungen: 13. 2., 16. 2. 2010, 30. 1. 2011
2. Erprobung: 7.-10. Februar 2011
Ergänzungen: 12. 2., 13. 2., 22. 10. 2011
3. Durchgang: 6.-9. Februar 2012
Ergänzungen: 20. 2. 2012, 29. 1. 2013, 2. 2. 2014
5. Durchgang: 3.-6. Februar 2014
Änderungen: 4. 2., 7. 2., 11. 2. 2014, 25. 2. 2015
6. Durchgang: 2.-5. Februar 2015


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